Der Geruch der Farbe

Spielwiesen, Drucker
und Gestalter:innen

Meine ersten Berührungspunkte mit der großen Welt des Druckens hatte ich durch meine Ausbildung zur Mediengestalterin. In der hauseigenen Agentur eines mittelständischen Unternehmens, welches die meisten Druckprodukte im Ausland produzieren ließ, hieß das aber viel Theorie und wenig Praxis. Zumindest in Bezug auf die Druckproduktion. Wenn tatsächlich mal etwas in den lokalen Druckereien produziert werden sollte, wurden im Gespräch seitens der Druckereivertreter dann oft Sätze fallen gelassen wie: „Ach… Die Designer überlegen sich immer so verrücktes Zeug, was dann aber nicht gedruckt werden kann.“ Um nicht als völlig ahnungslos zu wirken, stimmte ich natürlich immer zu, fragte mich aber schon damals, woher diese Vorbehalte gegenüber ebendiesen Designer:innen kamen. In der Agentur gab es „verrücktes Zeug“ im Rahmen eines seit Jahrzehnten feststehenden Corporate Designs für alle Druckprodukte nicht wirklich und mir fehlte da zugegebenermaßen auch der Weitblick. Zu diesem Zeitpunkt war das höchste der Gefühle eine Spotlackierung!

Die Besuche (zur Druckabnahme) in den örtlichen Druckereien waren daher umso spannender für mich. Die riesigen Druckstraßen und die Unmengen an Papier eröffneten eine ganz neue Welt, in der ich mich allerdings als Eindringling fühlte. Die Drucker als Handwerker (ich benutze hier die männliche Form, da mir bis dato nie eine Frau an der Druckmaschine begegnet ist) stellten sich als ausführendes Organ am Ende des Gestaltungsprozesses mit breiten Schultern hin und belächelten meine Farbkorrekturwünsche. Die aufwendige Technik und die Mengen an Papier, die da für eine Korrektur in die Tonne wanderten, schüchterten mich auch ziemlich ein. Vielleicht war es daher auch eine gute Strategie des Druckers, wenn er mehrfach mit rollenden Augen fragte, ob da nun wirklich noch mehr Cyan hinzugegeben werden muss. Aus heutiger Sicht verstehe ich die verborgenen Vorbehalte besser, da ich damals von drucktechnischen Voraussetzungen eher wenig Ahnung hatte und viele Dinge einfach noch nicht wusste. Aber woher hätte ich das alles auch wissen sollen? Trotz allem hätte ich mir gewünscht, dass ich nicht verbal oder nonverbal als ahnungsloses Mädchen abgestempelt worden wäre, sondern mir einfach erklärt worden wäre, wie die Dinge zusammenhängen und was ich hätte anders oder besser machen können.

Nach abgeschlossener Ausbildung begann ich dann mein Studium am Fachbereich Design der Fachhochschule Dortmund. Hier durfte ich mich direkt im ersten Semester mit den ganz alten Techniken des Drucks beschäftigen. Wieder fand ich mich in einer rein männlichen Werkstattbelegung wieder, die sich aber völlig anders mir gegenüber verhielt, als ich es bisher erlebt hatte. In der Hoch- und Tiefdruckwerkstatt lehrte mich der Werkstattleiter das Drucken mit Linolschnitt, Kaltnadelradierungen, Ätzungen und Aquatinta. Die Begeisterung, mit der er dabei im Kurs jede Arbeit auf Stärken und Schwächen untersuchte, war mitreißend und motivierend. Ich lernte sowohl Fehler zu verstehen als auch Schönheit in diesen zu erkennen. Das Spannende dabei ist, dass auch Verschiebungen im Druckbild und die damit einhergehenden Fehler als Gestaltungselement nutzbar sein können. An anderer Stelle ist es aber auch wichtig genau und sauber zu arbeiten: Bei der Radierung zum Beispiel werden die kleinsten Kratzer auf der Platte im späteren Druckbild abgebildet. Es war sehr bitter, als ich nach stundenlanger Bearbeitung merkte, dass ich vergessen hatte, die Platte zu polieren. Ein klassischer Fehler, den man nur einmal macht.

Doch das gehörte dazu und hielt mich nicht davon ab Stunden in der Werkstatt zu verbringen. Umhüllt vom Geruch der Farbe und von Terpentin und mit schwarzen Fingern und Nägeln, die fast unmöglich wieder sauber zu bekommen waren. Was für einen unglaublichen Charme die alten Druckerpressen haben, muss ich wahrscheinlich nicht erwähnen. Ich verliebte mich in den Geruch der Farbe und diesen besonderen Ort.

Das Studium ist für angehende Gestalter:innen eine große Spielwiese – Die Lust zu spielen ist dabei Voraussetzung für das Gelingen. Meine Professor:innen lehrten mich frei zu denken und alles auszuprobieren, was mir in den Kopf kam, sowohl analog als auch digital. Das stand völlig im Gegensatz zu dem, was ich aus der Agentur kannte. 

So kam ich zum Siebdruck. Ich beschäftigte mich intensiv mit der analogen Filmherstellung, belagerte die beiden Hilfskräfte und wurde zu meinem Glück sogar angefragt selber als Hilfskraft zu arbeiten. 

Der männlichen Belegschaft hatte imponiert, dass ich mich nicht scheute mir die Finger dreckig zu machen und außerdem gefiel ihnen mein Musikgeschmack. Der Siebdruck verkörperte das DIY-Postermachen für eine ganze Generation von Bands und das wurde auch in der Werkstatt gelebt. Laute Musik, Leuchtfarben, Raster, zusammengesetzte Filme vom Kopierer und jede Menge starker Kaffee– all das gehörte zu dieser Werkstatt dazu. Wir druckten Irisverläufe, feinste Raster, große Farbflächen und lasierende Prozessfarben. Dabei lernte ich mich in eine Technik einzuarbeiten, deren Eigenheiten zu verstehen und damit umzugehen. 

Mit dem Risographen kam dann eine weitere Technik hinzu, die ich betreuen sollte. Zunächst stand ich der Maschine etwas skeptisch gegenüber oder sagen wir es mal so… Ich verstand den Hype nicht. Es schien so, als sei es eine abgespeckte Form des Siebdrucks im Gewand eines Bürokopierers versteckt. In einem Workshop durfte ich dann allerdings einen Tag lang mit der wunderbaren Sigrid Calon, einer niederländischen Illustratorin und Gestalterin, drucken. Sie zeigte mir, welchen Charme Verläufe und Raster haben können und wie einzigartig die Ergebnisse mit dem Riso dabei sind. Als ich verstand, dass der Riso nicht in Konkurrenz mit meinem heißgeliebten Siebdruck steht und schon gar nicht versucht an den Digital- oder Offsetdruck heranzukommen, war ich überzeugt von der unscheinbaren Kiste. Der Riso ermöglicht den Druck von Unikaten, die in ihrer Unperfektheit einen unglaublichen Charme haben, und fordert gleichzeitig auch eine Auseinandersetzung mit Farben und das Denken in Layern. Man kann sowohl analog als auch digital arbeiten, was völlig unterschiedliche Anmutungen erzeugt. Wenn man den Riso übrigens in der „normalen“ Druckbranche erwähnt, wird dieser achselzuckend als Kopierer abgetan, der in Behörden oder Schulen steht. 

Nach meinem Masterstudium und weiteren Jahren in der Agentur, bekam ich die einmalige Möglichkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an die Fachhochschule zurückzukehren. Der bisherige Werkstattleiter hatte mich für die Position empfohlen. Er sah, wie sehr ich mich immer engagiert hatte und begründete seine Empfehlung mit der Aussage: „Wenn einer das kann, dann du, und ich finde, es ist an der Zeit, dass auch mal eine Frau die Leitung übernimmt!“ Verbunden mit einer Projektstelle wurde ich eingestellt und übernahm sogar die Leitung für den erkrankten Kollegen für drei Werkstattteile inklusive der Planung eines neuen digitalen Bereichs. Nun war ich plötzlich endgültig in der Rolle der Vermittlerin von Wissen. Um ehrlich zu sein, jagte mir das schon Angst ein. Ich fühlte mich ein wenig zurückversetzt in die Zeit meiner Ausbildung, wo ich hilflos  in der Druckerei stand und nicht wusste, was ich tun sollte. Doch mit dem Anspruch, die Arbeit genauso motiviert und liebevoll anzugehen wie mein Vorgänger, zapfte ich alle Quellen an, die mir einfielen. Da die Werkstätten mit Hoch- und Tiefdruckwerkstatt, Papier- bzw. Buchbindewerkstatt und Siebdruck-/Risowerkstatt ein sehr vielfältiges Angebot abbilden, war da Einiges aufzuholen. Durch die Hilfe von vielen erfahrenen und offenen Menschen konnte ich mir vieles erarbeiten, aber sicherlich habe ich noch lange nicht alles gelernt, was im Druck möglich ist. Mit der täglichen Erfahrung wächst aber mein Können immer weiter, was natürlich auch damit verbunden ist auch manchmal zu scheitern. Ich denke gerade in diesem Bereich ist ein lebenslanges Lernen wichtig, um bei den ständigen Entwicklungen der Branche mitzukommen.

Neben der Leitung der Werkstätten beschäftigte ich mich intensiv mit der Frage, ob der Fachbereich Design eine digitale Druckmaschine (und eine entsprechende Werkstatt) braucht und wie diese eingesetzt werden könnte. In der Recherchephase sah ich mich in der Branche und an auch anderen Hochschulen um und lernte viele Leute (wieder hauptsächlich Männer) aus dem Umfeld kennen. Beim Besuch eines Druckmaschinenherstellers wurde es mir gegenüber sogar mehr oder weniger entschuldigt, dass eine Frau für den technischen Teil dabei war, da diese sich da gut auskannte, obwohl sie eine Frau war. Die Frage nach der Notwendigkeit der Anschaffung schien den Gesprächspartnern dabei nicht so wichtig zu sein, wie die Frage, ob ich (als junge Frau) diese Maschine denn auch bedienen könne. Ohne überhaupt meine Kompetenzen zu kennen, wurde mir (von einigen Männern) unterstellt, dass die Bedienung einer solchen Maschine wahrscheinlich nichts für mich sei, da sie ja technisch hoch komplex sei.

Es steht außer Frage, dass Digitaldruck mit allen Facetten ein sehr umfangreiches Thema und auch ein ganzer Ausbildungsberuf ist. So sind oder waren es auch Hoch- und Tiefdruck, Siebdruck oder Buchbinden. Allerdings versuche ich in den Werkstätten gar nicht in Konkurrenz mit derartigen (Handwerks-) Unternehmen zu treten, sondern verfolge ein ganz anderes Ziel: Die Studierenden dabei zu unterstützen Kleinstauflagen „von Hand“ zu produzieren. Sie sollen dabei alle Schritte erleben, um im späteren Berufsleben zu wissen, wovon sie sprechen. Es geht darum ein Verständnis dafür herzustellen was die Gegenseite (die „Drucker“) für Vorarbeiten benötigen, so dass am Ende das Ergebnis erzielt wird, was von beiden Seiten gewünscht wurde. 

Letztendlich kam ich zu dem Ergebnis, dass der Fachbereich sogar sehr dringend eine Digitaldruckmaschine braucht. Nach einem weiteren Jahr der Planung und den üblichen Abläufen, die ein so großes Projekt mit sich bringt, war es dann soweit: Ein fast 5m langes, graues Ungetüm zog am Fachbereich ein. Mit dem Start des Digitaldrucks eröffnete sich für mich damit ein weiteres Feld, welches es zu erkunden galt. Durch Schulungen und viel Experimentieren, verstand ich zwar die Vorbehalte, die mir im Vorfeld entgegengebracht wurden, merkte aber, dass ich sehr wohl in der Lage war mit einer solchen Maschine umzugehen. Die Maschine kann sehr zickig sein, wir streiten oft, aber wir vertragen uns auch wieder.

Der Plan geht bereits, trotz erschwerter Rahmenbedingungen durch Covid19, auf: Die Studierenden durchlaufen in der Planung ihrer Publikationen alle wichtigen Schritte. Vom Vorgespräch über die Papierauswahl zur Erstellung der Druckdaten und dem Prüfen der gedruckten Produkte. Sie lernen das alles nicht nur theoretisch. Da an den gedruckten Ergebnissen sofort Fehler oder falsches Colormanagement sichtbar wird, haben sie die Möglichkeit die Fehler zu verstehen und zu korrigieren. Ohne finanzielle Verluste und Frust. Für viele ist es der erste Berührungspunkt mit einer Druckmaschine (abgesehen von Online-Druckereien) und die Arbeit vor Ort soll ihnen die Angst vor der Begegnung mit den Druckern nehmen. Ich möchte sie davor bewahren, dass sie, wie ich damals, vor ihnen stehen und ähnlich ahnungslos sind oder als das abgestempelt werde. Das funktioniert, indem ich ihnen das nötige Wissen an die Hand gebe, um souverän mit den Druckern kommunizieren zu können.

Das Besondere am Fachbereich Design der Fachhochschule Dortmund dabei ist, dass die verschiedenen Techniken vor Ort auch kombiniert werden können. Meine Hilfskräfte und ich drucken mit den Studierenden Skala auf der Digitaldruckmaschine, aber auch mit Sonderfarben (Weiß und Klartoner). Wir kombinieren diese mit Siebdruck, Riso oder prägen mit unseren Tiefdruckpressen gelaserte Vorlagen. Dabei kommen sowohl die Studierenden als auch die Werkstattkapazitäten zwar oft an ihre Grenzen, aber das soll auch so sein! Der Lerneffekt und der „AHA-Moment“ ist dabei in den meisten Fällen enorm. Wenn die Studierenden ein weiteres Mal die Werkstatt nutzen wollen, um ihre Projekte umzusetzen, funktioniert der Ablauf meist fehlerfrei und sie können besser formulieren, was sie wollen und wissen auch, was sie dazu brauchen. Das wird ihnen die Praxis außerhalb der Hochschule deutlich erleichtern.

In meiner jetzigen Position als Werkstattleiterin der druckgrafischen Werkstätten und der damit verbundenen Verantwortung und Aufgabe, den Studierenden so gut es geht bei der Umsetzung ihrer Projekte zu unterstützen, finde ich mich heute oft an dem Punkt, wo sich die Drucker damals mit mir bei der Druckabnahme gefunden haben: Ich stehe mit meinem Wissen Leuten
gegenüber, die keine (oder wenig) Ahnung haben, wovon ich spreche. Allerdings erinnere ich mich in dieser Situation immer daran zurück, wie gerne ich damals einfach das Problem nachvollziehbar erklärt bekommen hätte. Und genau das ist der Weg, mit dem ich die Werkstätten auch weiterhin leiten möchte. Lassen wir die Arroganz beiseite und versuchen wir das Beste rauszuholen, auch wenn das mit Fehlern verbunden sein kann. Man lernt doch nie aus!

Ich denke, dass in der heutigen digitalen Zeit die Produktion von analogen Druckmedien nicht unbedingt an Wert verliert. Bei den Studierenden beobachte ich, dass diese sich wieder viel mehr mit der Materialität ihrer Publikationen auseinandersetzen. Das fängt bei der Wahl des Papiers an und endet oft bei Veredelungen verschiedenster Art. Dabei ist es auch wichtig, manchmal einen Schritt zurück zu gehen und die Wirtschaftlichkeit und Machbarkeit zu hinterfragen. Aufwendig produzierte Publikationen werden allerdings ganz anders wahrgenommen. Durch die Papierwahl, die Veredelungen, Formatwechsel etc. stechen sie aus der Masse heraus und animieren die Betrachter:innen dazu, sich mit der Thematik auseinander zu setzen.
Die Haptik und den Einsatz von Veredelungseffekten kann im digitalen Raum nicht wiedergeben werden. Das kann nur im analogen entstehen. Mit welcher Technik ist an dieser Stelle egal. Daher verändert sich die Branche, die sich dafür ein bisschen mehr öffnen muss: Es geht künftig eher um Qualität als um Quantität.

Bianca Reimann

Bianca Reimann

Bilder: © Martina Engert für das Schwarz Magazin

Dieser Artikel ist in unserer Print-Ausgabe 1-2021 erschienen.